§ 13 StGB (Begehen durch Unterlassen) [Garantenstellung]

Gesetzestext:

(1) Wer es unterläßt,
einen Erfolg abzuwenden,
der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört,
ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar,
wenn er rechtlich dafür einzustehen hat,
daß der Erfolg nicht eintritt,
und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes
durch ein Tun entspricht.

(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden."


Erklärung zu diesem Paragraphen:

Wer nichts dagegen tut, daß etwas eintritt
(Der Erfolg ist hier das Gelingen einer Straftat wie z.B. Tötung),
ist nach dem Strafgesetz
(für diese Straftat)
nur dann zu verurteilen, wenn er vorher die Garantie übernommen hat (Garantenstellung),
daß nichts passiert.

Nach § 13 Abs. 1 StGB ist der Unterlassungstäter nur dann strafbar, wenn er
"rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt".
Das bedeutet, daß der Unterlassende gegenüber dem gefährdeten Rechtsgut eine Garantenstellung hat. Diese wird begründet durch im § 13 StGB nicht näher bezeichnete Rechtspflichten und ist somit ein ungeschriebenes Merkmal des objektiven Tatbestandes.
Die Garantenstellung ergibt sich nach der jetzt herrschenden Meinung aus einer besonderen Schutzfunktion für bestimmte Rechtsgüter sowie aus einer Verantwortlichkeit für bestimmte Gefahrenquellen.

Die Rechtsfolge der Garantenstellung bedeutet also,
daß jemand, der nicht hilft, nicht nur wegen unterlassener Hilfeleistung bestraft wird
(das ist ein sogenannter Auffangtatbestand und von der Strafdrohung her eher moderat), sondern statt dessen wegen einer begangenen Straftat wie z.B. Körperverletzung oder Totschlag durch das sogenannte Unterlassen, also dem "Nichtstun". Das passive "Nicht-Handeln" wird also einem aktiven "Handeln" gleichgesetzt!

Dieses "Unterlassen" eines Garanten (also eine Person, die für eine Sicherheit besonders "garantiert") wirkt sich auf das Strafmaß aus, es ist kein gesonderter Paragraph der sich damit befaßt, sondern er wird von der Rechtsprechung entsprechend dem Sachverhalt angewandt.
Dadurch sind auch keine klaren Tatbestandsmerkmale festzustellen, was wiederum bedeutet, daß es unterschiedliche Rechtsauffassungen zu diesem Thema gibt.

Nochmal: Die Garantenstellung "bewirkt", daß jemand der in einer Notlage ( § 323c StGB) oder bei einer anderen Straftat (§ 13 StGB) sich nicht entsprechend verhält, ein höheres Strafmaß, oder eine Bestrafung wegen eines anderen Deliktes zu erwarten hat.



Beispiele:

Willi Bösewicht stößt das 5-Jährige Kind, Lieschen Müller, die nicht schwimmen kann, ins Wasser, um es zu töten (also vorsätzlich).
Lischen Müller ruft um Hilfe und geht unter.
Die Hilferufe bemerken der Vater, der Schwimmmeister und ein weiterer Badegast.
Keiner hilft, das Kind ertrinkt.



Wer hat sich wie strafbar gemacht?
Willi Bösewicht: Totschlag (§ 212 StGB),
5-15 Jahre Freiheitsentzug, in der Regel also irgendwas so um 7Jahre.

Vater und Schwimmmeister sind Garanten,
also: Totschlag durch Unterlassen (§ 212 in Verb. mit § 13 Abs. 1 StGB),
ebenfalls 5-15 Jahre Freiheitsentzug
(mit der Minderungsmöglichkeit nach § 13 Abs. 2).
Der Badegast: unterlassene Hilfeleistung, § 323 c StGB,
maximal ein Jahr Freiheitsentzug oder Geldstrafe, was in der Regel Geldstrafe bedeutet.




Wie wird man zum "Garanten", also zu der Person, die rechtlich dafür einzustehen hat, daß nichts passiert!


Eine Garantenstellung kann sich ergeben aus:

* Gesetz
* Lebens- und Gefahrengemeinschaften
* Pflichtenübernahme



Garantenstellung aufgrund eines Gesetzes oder anderer Rechtsnorm

In Betracht kommen in erster Linie die Schutz- und Beistandspflichten, die aus den familienrechtlichen Sorgepflichten der Verwandten abzuleiten und im BGB geregelt sind. So kann z. B. die Mutter wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen (§§ 222, 13 StGB) bestraft werden, wenn sie ihre Aufsichtspflicht nach § 1631 BGB verletzt und ihr Kind beim Spielen in ein Baggerloch fällt und ertrinkt. Dabei kommt es allerdings entscheidend auf die näheren Tatumstände an, die bei den polizeilichen Ermittlungen in solchen Fällen berücksichtigt werden müssen.


Beispiele:

Die Eltern sind verpflichtet, für die ärztliche Betreuung ihrer Kinder zu sorgen (Personensorge, §§ 1626, 1631 BGB).
Unterläßt es ein Vater, sein krankes Kind rechtzeitig ins Krankenhaus zu bringen, kann er sich wegen fahrlässiger Tötung oder fahrlässiger Körperverletzung strafbar machen.

Die Garantenpflichten der Kinder gegenüber ihren Eltern ergeben sich aus § 1606 BGB
Weitgehende Handlungspflichten (Garantenpflichten) leitet die Rechtsprechung auch aus der Pflicht der Ehegatten zur ehelichen Lebensgemeinschaft (§ 1353 BGB) ab. So sind die Ehegatten, sofern sie nicht getrennt oder in Scheidung leben, verpflichtet, sich bei drohenden Gesundheitsschäden gegenseitig zu schützen und zu helfen (BGH 6, 322) .


Merke:

Keine Garantenstellung begründen die Gebotsnormen der echten Unterlassungsdelikte!

Wer z. B. als Spaziergänger ein ins Wasser gefallenes Kind erblickt, das zu ertrinken droht und nichts zur Rettung unternimmt, ist allenfalls wegen unterlassener Hilfeleistung nach § 323 c StGB, nicht aber wegen Tötung durch Unterlassen strafbar: BGH 3, 65 (anders, wenn es sich um einen Angehörigen handelt).


Garantenstellung aufgrund einer Lebens- oder Gefahrgemeinschaft

Zugrunde liegen hier persönliche Verhältnisse und Bindungen zur geschädigten Person (z.B. Eltern, Verwandte, Lebenspartner) aber auch wenn keine verwandtschaftlichen Beziehungen bestehen, aber die gegenseitige enge Bindung zur Erfolgsabwendung verpflichtet.
Im Prinzip fast allen, von denen man in einer Notlage besonders erwarten würde, daß sie Hilfe leisten. Es währe doch wohl kaum verständlich, wenn eine Mutter tatenlos zusieht, wenn ihr Kind ertrinkt.
Innerhalb der DLRG nehmen so z.B. auch die Schwimmausbilder oder Riegenführer gegenüber ihrer Schwimmgruppe, die Bootsführer gegenüber ihrer Besatzung und Passagieren oder der Wachleiter gegenüber der gesamten Wachmannschaft eine Garantenstellung ein.


Beispiele:

Zusammenleben in einer Wohngemeinschaft - nicht Hausgemeinschaft
(BGH NJW 87, 850) verpflichtet, sich gegenseitig vor drohenden Gefahren für Leib und Leben zu bewahren (BGH 19, 167). Das gilt auch für zusammenlebende Verlobte. Für Ehegatten gilt außerdem die Garantenpflicht aus § 1353 BGB (vgl. oben Garantenstellung aus Gesetz").

Polizeibeamte, Angehörige der Feuerwehr und sonstiger Rettungsdienste haben sich während ihres Einsatzes gegenseitig zu unterstützen.



Garantenstellung aufgrund einer Pflichtenübernahme

Durch Pflichtenübernahme wird eine Garantenstellung begründet, wenn jemand verpflichtet ist, aufgrund übernommener Schutz- und Beistandspflichten oder aufgrund einer sozialen Sonderstellung Gefahren abzuwenden.

Dazu gehören besonders Ärzte, Lehrer und sonstige Erzieher bzw. Personen, die Fürsorgepflichten gegenüber Kindern oder Kranken übernommen haben, aber auch Busfahrer, Lokführer, Schrankenwärter und Angehörige von Berufsgruppen, denen zur Tatzeit die Schutzobjekte besonders anvertraut werden, wie Schwimmlehrer oder Bergführer.

Zu diesem Personenkkreis zählen sicherlich auch Sanitäter im organisierten Rettungsdienst und Rettungsschwimmer im organisierten Wasserrettungsdienst.

Entscheidend für die Begründung der Garantenpflicht ist hierbei nicht das Vorliegen eines Arbeitsvertrages oder eines sonstigen Rechtsgeschäftes, sondern die tatsächliche Übernahme der Vertrauensstellung.

Also nicht Vertrag, sondern das tatsächliche Handeln sind ausschlaggebend.

Ähnlich ist es beim Vorhandensein eines Wasserrettungsdienstes.
Man nimmt an, daß sich die DLRG dann auch um die Wasserrettung kümmern wird.
Sie übernimmt also quasi freiwillig diese Pflicht.


Beispiele:

Wer z. B. an einer Unfallstelle durch sein Eingreifen andere Rettungshandlungen ausschließt, ist Garant, weil durch seine Pflichtenübernahme andere Verkehrsteilnehmer keinen Arzt mehr herbeirufen (BGH St 26, 35, 39).

Die Garantenstellung, die sich aus der Schaffung einer Gefahrenlage ergibt, verpflichtet den Verursacher, den aus dieser Lage drohenden Erfolg abzuwenden (BGH 4, 22). Allerdings begründet nicht jedes gefahrbegründende oder gefahrsteigernde Vorverhalten eine Rechtspflicht zum Handeln, sondern nach herrschender Lehre nur ein pflichtwidriges Vorverhalten.

Die Garantenstellung, die aus der Herrschaft über Räumlichkeiten, wie Wohnungen und Lokale, abgeleitet wird, verpflichtet den Wohnungsinhaber oder Gastwirt zum Einschreiten, wenn die Gefahr besteht, daß in den Räumen, über die er die Verfügungsgewalt hat, strafbare Handlungen begangen werden (BGH 27, 10 ff.).
Einem Gastwirt obliegt es also, seine Gäste vor Ausschreitungen anderer Gäste zu schützen. Wenn es zu Körperverletzungen in seinem Lokal kommt und ihm ein rechtzeitiges Eingreifen möglich und zumutbar war, kann sein passives Verhalten als Körperverletzung durch Unterlassen (§§ 223, 224, 13 StGB) geahndet werden.